Man muss den Medienmachern eines lassen: Sie wissen, wie man Geschichten erzählt. Ob im glitzernden Hauptprogramm oder im vermeintlich bodenständigen Dritten Programm, die kulinarische Landschaft Deutschlands wird regelmäßig durch den Kakao gezogen – oder vielmehr: durch die überzogene Soße des Zeitgeists. Und das Kuriose daran? Viele unserer geschätzten Gastronomen scheinen dabei blind dem Fernsehkoch zu folgen, statt dem eigenen Bauchgefühl.
Der Schickimicki-Overkill: Wenn der Gaumen zur Galerie wird
Im Hauptprogramm herrscht der Diktat der Haute Cuisine: hier wird nicht mehr gekocht, hier wird inszeniert. Jeder Teller ist ein Kunstwerk, jeder Schaum eine Offenbarung, jede Zutat eine Geschichte – idealerweise von einem glücklichen Huhn, das auf einem Bio-Bauernhof in den Anden von einem veganen Mönch gehätschelt wurde. Die Portiönchen sind winzig, die Preise astronomisch und die Atmosphäre so steril, dass man fast fürchtet, laut zu lachen könnte die sorgfältig arrangierten Duftmoleküle stören.
Natürlich soll das inspirieren! Es soll zeigen, was theoretisch möglich ist, wenn man ein Heer von Sous-Chefs, eine Molekularküche und ein unbegrenztes Budget hat. Das Problem ist nur: Der gemeine Gast will am Ende eines langen Arbeitstages oft einfach nur satt werden und etwas Leckeres auf dem Teller haben, das er auch wiedererkennen kann. Er möchte nicht raten müssen, ob der grüne Tupfen auf seinem Teller jetzt Erbsenpüree oder eine avantgardistische Algencreme ist.
Doch der Virus der Dekadenz infiziert. Plötzlich glauben auch bodenständige Gasthäuser, sie müssten ihre Speisekarte mit wohlklingenden, aber unverständlichen Begriffen spicken oder ihre Schnitzel mit essbaren Blüten garnieren. Der „Schweinebraten mit Knödel und Soße“ mutiert zur „Konfierten Hausschwein-Wange an spherifizierter Erdapfel-Emulsion und Reduktion vom Wurzelgemüse“. Das klingt schick, schmeckt aber oft nur nach „Ich wollte mal was Neues probieren, habe aber keine Ahnung, was mein Gast wirklich will.“
Die „Heimat“-Hymne: Zwischen Nostalgie und Staubschicht
Ganz anders ticken da die Dritten Programme. Hier regiert die heile Welt des Lokalkolorits. Die Kamera schwenkt über saftige Wiesen, alte Fachwerkhäuser und landet schließlich im Gasthof „Zum fröhlichen Karpfen“. Dort wird dann der „echte, unverfälschte“ Kartoffelbrei hochgelobt, die seit 100 Jahren unveränderte Rezeptur des „Bauernfrühstücks“ zelebriert und die Wurst aus der Hausschlachtung als kulinarisches Weltwunder verkauft.
Besonders im Osten scheint man dabei eine Vorliebe für die „guten alten Zeiten“ zu pflegen. „So wie zu Omas Zeiten“, „unverfälschter Genuss“, „echtes Handwerk“ – die Phrasen sind bekannt. Und ja, es gibt eine Sehnsucht nach Authentizität und Vertrautheit. Viele dieser Klassiker haben ihre Berechtigung und ihren Charme.
Das Problem entsteht, wenn diese nostalgische Verklärung dazu führt, dass sich Gastronomen krampfhaft an Rezepten oder Konzepten festklammern, die vielleicht vor 50 Jahren funktionierten, heute aber weder zeitgemäß noch wirtschaftlich sind. Wenn man jede Innovation, jede Anpassung an moderne Geschmacksvorlieben oder effizientere Arbeitsabläufe als Verrat an der „Handwerksehre“ oder der „Heimat“ abtut.
Der Kardinalfehler: Dem Medienmacher mehr trauen als sich selbst
Hier offenbart sich der eigentliche Knackpunkt, und man möchte fast mitleidig den Kopf schütteln: Viele Gastronomen vertrauen den Medienmachern mehr als sich selbst in ihrer eigenen Branche. Sie sehen eine Sendung, in der ein hipper Koch seine minimalistischen Kreationen zelebriert, oder ein Lokalpatriot seinen rustikalen Charme hochleben lässt, und denken: „Das ist es! Das muss ich auch machen!“
Das ist ein fataler Fehler. Denn die Medienmacher sind keine Gastronomen. Sie sind Geschichtenerzähler. Ihr Ziel ist es, Quote zu machen, Emotionen zu wecken und ein Image zu verkaufen. Ob das gezeigte Konzept dann im Alltag eines Dorfgasthauses oder eines Stadtrestaurants funktioniert, ist ihnen herzlich egal. Sie liefern die Show, nicht die Betriebsanleitung für den wirtschaftlichen Erfolg.
Wer zu stark an der Handwerksehre oder der Nostalgie hängt, wer blind Modetrends aus dem Fernsehen kopiert, statt streng unternehmerisch zu denken, wird scheitern. Egal, ob in der Gastronomie, im Handwerk oder im Einzelhandel. Die Frage, die sich jeder Unternehmer stellen muss, lautet nicht: „Was sieht gut im Fernsehen aus?“ oder „Was hat Oma gemacht?“, sondern:
„Was will mein echter Gast, der hier und heute mein Restaurant besucht, zu welchem Preis, und wie kann ich das wirtschaftlich sinnvoll und mit Leidenschaft umsetzen?“
Die Antwort darauf findet man nicht auf dem Bildschirm, sondern im Gespräch mit den eigenen Kunden, in der Kalkulation des Küchenchefs und im gesunden Menschenverstand. Vielleicht ist es ja am Ende doch nur ein verdammt gutes Schnitzel – ohne essbare Blüten, dafür aber mit einer Portion gesunder unternehmerischer Haltung.
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