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Das deutsche Fernsehen und die verpasste Realität: Zwischen Spitzengastronomie und Klischee-Dorfidylle

Manchmal, wenn man abends durch die Kanäle zappt, überkommt einen das Gefühl, in einem Paralleluniversum gelandet zu sein. Auf der einen Seite die Hochglanzwelt der Hauptsender, wo die Sterneköche mit Pinzetten anfangen, Mikrokräuter auf Jakobsmuscheln zu drapieren, als wäre jedes Gericht eine Operation am offenen Herzen. Auf der anderen Seite die Dritten Programme, die uns mit fast schon rührender Beharrlichkeit die „Heimat“ als Schauplatz für Heile-Welt-Geschichten verkaufen, wo die Tracht noch sitzt und der Dorfklatsch das größte Drama ist.

Man fragt sich: Gibt es eigentlich noch eine Mitte? Eine Realität zwischen dem dekadenten Schickimicki der Spitzengastronomie und der inszenierten, oft ins Trottelige abdriftenden ländlichen Idylle?

Die große kulinarische Übertreibung: Wo Essen zum Statussymbol wird

Die großen Privatsender, aber auch die Öffentlich-Rechtlichen zur Primetime, haben eine Vorliebe für alles, was nach Exklusivität, Perfektion und unerreichbarem Luxus riecht. Kochsendungen sind nicht mehr dazu da, Rezepte zu vermitteln, sondern um einen überzogenen Anspruch zu inszenieren.

Da wird eine Tomate nicht einfach geschnitten, sondern mit der Akribie eines Chirurgen präpariert. Es geht nicht mehr um Geschmack, sondern um Textur-Erlebnisse, um „kulinarische Reisen“ und um die Fähigkeit, ein Gericht so zu dekonstruieren, dass man am Ende nicht mehr weiß, was man eigentlich isst, geschweige denn, ob es schmeckt.

Der Zuschauer soll staunen, ehrfürchtig nicken und sich fragen, warum der eigene Toast (der ja bekanntlich auch ein Timing-Problem hat) so profan ist. Diese Sendungen erzeugen ein Bild von Gastronomie, das für den Durchschnittsbürger weder zugänglich noch erstrebenswert ist. Es ist die perfekte Kulisse für eine Überflussgesellschaft, die sich an der Dekadenz weidet – und dabei völlig die Realität des Essens vergisst: Hunger stillen, Genuss erleben und Gemeinschaft pflegen.

Die Dorf-Klamotte: Heimat als Alibi für Langeweile

Als Gegenpol dazu präsentieren uns die Dritten Programme eine andere, nicht weniger gestellte Realität. Mit wohlwollendem Lächeln wird uns das „ländliche Leben“ als eine Art Freilichtmuseum für Gemütlichkeit und Tradition verkauft. Hier grüßen sich noch alle beim Namen, der Bäcker verkauft noch handgemachte Brötchen und das größte Problem ist, wenn die Kuh ausbüxt oder der Kirchturm repariert werden muss.

Das Problem dabei: Diese „Heimatthemen“ wirken oft, als wären sie direkt aus einem 50er-Jahre-Heimatfilm entsprungen. Das Ländliche wird nicht als das dargestellt, was es oft ist – eine vielfältige, moderne Region mit eigenen Herausforderungen, Innovationen und ganz normalen Menschen –, sondern als altmodisch, bisweilen naiv und leider manchmal sogar trottelig. Der Landwirt spricht im Dialekt, der für Außenstehende kaum verständlich ist (was die Klischees nur verstärkt), und die Dorffeste sind so perfekt inszeniert, dass man das Gefühl hat, gleich biegt ein Filmteam um die Ecke.

Das widerspricht sich nicht nur mit der urbanen Glitzerwelt der Hauptsender; es widerspricht auch der gelebten Realität der Menschen auf dem Land. Dort gibt es sehr wohl Internet, internationale Verbindungen, komplexe Probleme und Menschen, die nicht den ganzen Tag im Trachtenverein singen.

Die verpasste Mitte: Wo bleibt die Authentizität?

Beide Extreme – die überzogene Spitzengastronomie und die klischeehafte Dorf-Idylle – sind gleichermaßen weit von der Mehrheit der Bevölkerung entfernt. Sie wirken gestellt, inszeniert und bedienen eher vorgefasste Meinungen als dass sie informieren oder inspirieren.

Die eigentliche Realität, die spannend wäre, bleibt auf der Strecke:

  • Die authentische Kneipe um die Ecke, wo das Bier ehrlich schmeckt und die Gespräche ungefiltert sind.
  • Die kleine Familienmetzgerei, die seit Generationen ehrliche Handwerkskunst betreibt.
  • Der junge Landwirt, der mit modernster Technik nachhaltige Konzepte umsetzt, anstatt mit der Heugabel herumzulaufen.
  • Die Dorfgemeinschaft, die sich aktiv für schnelle Internetverbindungen, moderne Schulen und lebendige Vereine einsetzt, statt nur Schützenfeste zu feiern.
  • Der ambitionierte Koch, der mit regionalen Zutaten ehrliche, zugängliche und doch raffinierte Küche anbietet – ohne Pinzette und Mikrometer.

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die Fernsehmacher ihre Lupe von den Extremen abwenden und den Blick auf das richten, was Deutschland wirklich ausmacht: die facettenreiche, oft unaufgeregte Normalität. Das wäre vielleicht weniger „Schickimicki“ und weniger „Heile Welt“, aber dafür umso realer, authentischer – und am Ende vielleicht sogar viel spannender. Man müsste nur genau hinschauen. Und das geht nur, wenn die Kamera nicht ständig die Klischee-Brille trägt.

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