Die Glühwein-Inflations-Odyssee: Das Dezember-Ritual der Preispanik.
Jedes Jahr, wenn die erste zarte Schneeflocke fällt und der Duft von Mandeln und Fichtenharz über die Stadt zieht, beginnt sie: die alljährliche, kollektive Glühwein-Inflations-Odyssee. Und jedes Jahr stellt sich die gleiche zentrale, schicksalhafte Frage, die die Nation in den Medien und an den Glühweinbuden spaltet: „Was kostet jetzt der Glühwein?“
Diese Frage ist das Dezember-Äquivalent zur sommerlichen Hysterie um „Was kostet die Kugel Eis?“ – und in beiden Fällen neigen die Medien dazu, die tatsächlichen, komplexen Faktoren der Händler schmerzhaft zu verzerren und zu simplifizieren.

Die Große Glühwein-Lüge: Mehr als nur billiger Wein
Die Berichterstattung suggeriert oft, der Preisanstieg von 50 Cent auf 4,50 Euro sei reiner Wucher, da der Hauptbestandteil ja lediglich „billiger Wein mit Zucker und Gewürzen“ sei. Das ist die gleiche Vereinfachung, die dem Eisverkäufer an den Pranger stellt, weil er „nur gefrorene Milch und Zucker“ verkauft.
Die ignorierten Faktoren (Die Eiskugel-Analogie im Winter):
| Faktor | Beim Eis im Sommer (Medien-Fokus) | Beim Glühwein im Dezember (Die bittere Realität) |
| Die Basisware | Milch, Zucker, Aromen sind günstig. | Wein, Zucker, Gewürze sind günstig. |
| Personal & Lohnkosten | Steigen ständig. Fachkräfte kosten. | Die Servicekraft will nicht um 22 Uhr in der Kälte für Mindestlohn stehen. Lohnforderungen sind exorbitant. |
| Infrastruktur & Logistik | Miete für den begehrten Platz an der Strandpromenade. | Miete für den begehrten Platz auf dem zentralen Marktplatz (oft zehnfach höher als normal). Stromkosten für die stundenlange Beheizung der Kessel. |
| Die Tasse (Pfand) | Pfand deckt Kosten für Porzellan und Spülen. | Das Pfand ist eine logistische Waffe, die den Kunden zur Rückgabe zwingen soll. Die Kosten für bruchsichere Gläser sind hoch. |
| Das Wetter-Risiko | Schlechtes Wetter = Umsatzeinbruch. | Schlechtes Wetter (Regen, Wind) = Umsatzeinbruch und Heizkosten-Explosion. |
Das Glühwein-Paradoxon: Der Luxus des Leidens
Die Wahrheit ist: Der Preis eines Glühweins beinhaltet nicht nur den Zucker und den Fusel. Er ist ein Aufschlag für die temporäre Behebung von Mangelerscheinungen:
- Der Kälteschutz-Aufschlag: Sie bezahlen dafür, dass eine kleine, temporäre, heiße Flüssigkeitsquelle die Kälte, die Sie durch Ihre durchnässten Jeans spüren, für drei Minuten vergessen lässt.
- Der Menschenmengen-Puffer: Ein beschwipster Zustand ist die biologische Antwort des Körpers auf das Rempel-Ballett. Der Preis beinhaltet die Dienstleistung der Selbst-Anästhesie gegen den Dichtestress.
- Die Romantik-Flatrate: Der Glühwein bezahlt das kollektive Einbilden von Romantik, die eigentlich durch Dunkelheit und Nieselregen sabotiert wird.
Am Ende zahlen wir den Premiumpreis nicht für das Produkt, sondern für das komplette Erlebnis inklusive der logistischen Höchstleistung, einen alkoholischen Trostspender bei $3^\circ\text{C}$ in die Hand gedrückt zu bekommen. Und während die Medien jedes Jahr wieder die Jagd auf den „Abzocker-Glühwein“ eröffnen, stehen wir alle brav in der Schlange – denn was wäre die Vorweihnachtszeit ohne dieses kollektive, teure und leicht alkoholische Frieren?
Und ab März? Dann heisst es wieder: Was kostet die Kugel Eis? Hier geht es zum Artikel.


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