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„Grib“: Das geheimnisvolle Getränk aus dem Reich der Pilze – Eine Reise durch den Kaukasus und darüber hinaus

Wenn die Rede von osteuropäischen Getränken ist, denken die meisten an Kwas, Kefir oder Mors. Doch es gibt eine faszinierende, oft übersehene Kategorie von fermentierten Getränken, die mit einem ganz besonderen „Starter“ hergestellt werden: Pilzkulturen. Eines der bekanntesten und oft missverstandenen Vertreter dieser Gattung ist das, was umgangssprachlich im osteuropäischen Raum und darüber hinaus als „Grib“ (russisch: гриб, Pilz) bezeichnet wird. Dabei handelt es sich meist nicht um einen klassischen Speisepilz, sondern um eine Symbiose von Mikroorganismen.

Lassen Sie uns eintauchen in die Welt dieses geheimnisvollen Getränks, das sich oft hinter Namen wie „Teepilz“, „Milchpilz“ oder „Meeresreis“ verbirgt.

Was ist „Grib“ eigentlich? Die Verwirrung um den „Pilz“

Der Begriff „Grib“ ist eine Überkategorisierung, die im Volksmund für verschiedene SCOBYs (Symbiotic Culture of Bacteria and Yeast) verwendet wird, die zur Fermentation von Getränken dienen. Die beiden prominentesten Vertreter, die oft als „Grib“ bezeichnet werden, sind:

  1. Tee-Grib / Teepilz (Чайный гриб): International besser bekannt als Kombucha. Dies ist eine gelatineartige, scheibenförmige Kultur aus Essigsäurebakterien und Hefen, die schwarzen oder grünen Tee fermentiert.
  2. Milch-Grib / Milchpilz (Молочный гриб): International besser bekannt als Kefir-Knollen oder Kefir-Pilzchen. Dies sind unregelmäßig geformte, blumenkohlartige Körnchen aus Bakterien und Hefen, die Milch fermentieren.
  3. Reis-Grib / Meeresreis (Морской рис): Eine weitere SCOBY-Kultur, die optisch an Reiskörner erinnert und ebenfalls eine Fermentationsflüssigkeit ähnlich Kombucha produziert, oft aus Wasser und Trockenfrüchten.

Obwohl es sich biologisch nicht um klassische Pilze im Sinne von Myzelien handelt, hat sich die Bezeichnung „Pilz“ aufgrund ihrer äußeren Erscheinung und ihres „Wachstums“ eingebürgert.

Geschichte und Verbreitung: Eine Reise von den Bergen bis in die Wohnzimmer

Die Geschichte dieser „Grib“-Getränke ist oft nebulös und von Legenden umrankt.

  • Kombucha (Tee-Grib): Seine Ursprünge werden im Fernen Osten (China, Japan oder Korea) vermutet, wo es seit Tausenden von Jahren als Gesundheitsgetränk geschätzt wird. Nach Russland gelangte es vermutlich über Handelsrouten aus Asien, insbesondere aus Sibirien und der Mandschurei, im frühen 20. Jahrhundert. Dort wurde es schnell populär und fand in vielen Haushalten als Hausmittel und Erfrischungsgetränk Verbreitung. Es galt als Wundermittel gegen verschiedenste Beschwerden.
  • Kefir-Knollen (Milch-Grib): Die Legende besagt, dass die Kefir-Knollen ein Geschenk des Propheten Mohammed an die orthodoxen Hirten im Kaukasus waren und dass ihr Geheimnis streng gehütet wurde. Biologisch betrachtet stammen die Knollen tatsächlich aus der Kaukasusregion, wo sie traditionell zur Fermentation von Kuh-, Ziegen- oder Stutenmilch verwendet wurden. Nach Russland gelangten sie erst Ende des 19. Jahrhunderts durch eine abenteuerliche Mission, die vom Allrussischen Ärztekongress initiiert wurde, um das Geheimnis der Herstellung für medizinische Zwecke zu lüften. Von dort aus verbreitete sich Kefir in der Sowjetunion und später weltweit.
  • Meeresreis (Reis-Grib): Die Herkunft dieser Kultur ist weniger klar dokumentiert, wird aber ebenfalls oft dem asiatischen Raum oder dem Kaukasus zugeschrieben. Der Name „Meeresreis“ deutet auf eine optische Ähnlichkeit mit Reiskörnern und die Annahme hin, dass er ursprünglich aus Meerwasser stammte.

Die Verbreitung dieser „Grib“-Getränke erfolgte oft durch Mundpropaganda, die Weitergabe von Kulturen zwischen Nachbarn und Freunden. Sie waren Hausmittel und fester Bestandteil der häuslichen Küche, besonders in Zeiten, in denen frische Lebensmittel oder gekaufte Getränke nicht immer verfügbar waren.

Rezept: Einfach, aber mit Liebe zum Detail

Die Grundrezepte für die Herstellung von Getränken mit „Grib“ sind überraschend einfach, erfordern aber Sorgfalt und Hygiene.

Beispiel: Kombucha (mit Tee-Grib)

  • Zutaten:
    • 1 SCOBY (Tee-Grib)
    • 2-3 Liter Wasser (chlorfrei)
    • 200-300g Zucker (weiß, da die Hefen ihn am besten verarbeiten)
    • 2-3 Teebeutel Schwarztee oder 2-3 Teelöffel loser Schwarztee (ohne Aromen)
    • 200-300 ml fertiger Kombucha vom letzten Ansatz (als Starterflüssigkeit)
  • Zubereitung:
    1. Wasser aufkochen, vom Herd nehmen und Tee darin ziehen lassen (ca. 5-10 Minuten).
    2. Teebeutel/Teeblätter entfernen und Zucker im heißen Tee auflösen.
    3. Den gezuckerten Tee vollständig auf Raumtemperatur abkühlen lassen (sehr wichtig, da Hitze den SCOBY tötet!).
    4. Den abgekühlten Tee in ein großes Glasgefäß (mind. 3-4 Liter Volumen) geben.
    5. Die Starterflüssigkeit hinzufügen.
    6. Den SCOBY vorsichtig in den Tee legen (er kann sinken oder schwimmen).
    7. Das Gefäß mit einem luftdurchlässigen Tuch (z.B. Küchenhandtuch) und einem Gummiband abdecken, um Insekten fernzuhalten, aber Luftaustausch zu ermöglichen.
    8. An einem warmen, dunklen Ort (ca. 20-25°C) 7-14 Tage fermentieren lassen. Die Fermentationszeit hängt von Temperatur, gewünschtem Säuregrad und SCOBY-Größe ab.
    9. Nach dem Fermentieren den SCOBY und etwas Flüssigkeit für den nächsten Ansatz entnehmen. Das fertige Kombucha kann in Flaschen gefüllt und im Kühlschrank gelagert werden. Für eine zweite Fermentation (mit Früchten oder Gewürzen) kann es nochmals kurz bei Raumtemperatur stehen.

Wissenswertes und Anekdoten:

  • Der Austausch als Tradition: Die Kulturen wurden (und werden) oft nicht gekauft, sondern von Hand zu Hand weitergegeben. Dies schuf eine starke Gemeinschaft und war ein Zeichen von Freundschaft und Fürsorge.
  • Heilmittel-Mythos: Den „Grib“-Getränken wurden und werden oft wundersame Heilkräfte zugeschrieben, von der Stärkung des Immunsystems bis zur Krebsheilung. Während moderne Forschung einige probiotische Vorteile bestätigt, sollte man sich vor überzogenen Heilversprechen hüten.
  • Die russische Datscha: Viele russische Datscha-Besitzer (Kleingartenbesitzer) hatten ihren eigenen „Grib“ und waren stolz auf ihre selbstgemachten Getränke. Es war ein Symbol für Autarkie und Naturverbundenheit.
  • Variationen und Experimente: Die Rezepte sind oft flexibel. Beim Kombucha kann man mit verschiedenen Teesorten experimentieren, beim Kefir mit verschiedenen Milchsorten. „Meeresreis“ wird oft mit Trockenfrüchten und Zitrone fermentiert.
  • Hygiene ist König: Bei der Fermentation ist penible Hygiene entscheidend, um die Bildung unerwünschter Schimmelpilze oder Bakterien zu vermeiden.

Verweise zu ähnlichen Getränken:

Die Idee, Getränke mit SCOBYs zu fermentieren, ist nicht auf Osteuropa beschränkt:

  • Kombucha: Wie bereits erwähnt, ist der Tee-Grib international als Kombucha bekannt und erfreut sich weltweit wachsender Beliebtheit als gesundes Erfrischungsgetränk.
  • Kefir: Die Milch-Grib-Knollen sind die Basis für den in vielen Kulturen (besonders im Kaukasus, der Türkei und in Russland) verbreiteten Kefir.
  • Ginger Bug / Ingwer-Ferment: Eine Starterkultur aus Ingwer, Zucker und Wasser, die zur Herstellung von Ingwerbier (Ginger Beer) verwendet wird und ähnliche fermentative Eigenschaften wie die „Grib“-Kulturen aufweist.
  • Wasserkefir (Tibicos): Eine andere Art von Körnchen (nicht zu verwechseln mit Milch-Kefir), die gesüßtes Wasser oder Fruchtsäfte fermentiert und ein leicht kohlensäurehaltiges Getränk produziert.
  • Starterkulturen für Sauerteig: Auch Sauerteigbrot wird mit einer Symbiose aus Hefen und Milchsäurebakterien hergestellt, die eine ähnliche biologische Grundlage haben wie die „Grib“-Kulturen.

Die „Grib“-Getränke sind somit ein faszinierendes Beispiel für die traditionelle Fermentationskunst, die in vielen Kulturen über Jahrhunderte hinweg perfektioniert wurde. Sie bieten nicht nur einzigartige Geschmackserlebnisse, sondern auch einen Einblick in die reiche Geschichte der Volksmedizin und des häuslichen Lebens in Osteuropa.

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