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Ersatzteile für Opas Oldtimer: Eine Odyssee durch die sozialistische Mangelwirtschaft

Liebe Oldtimer-Enthusiasten und Freunde des gepflegten Rosthaufens, haltet eure Zündkerzen fest! Heute tauchen wir ein in ein Kapitel der Automobilgeschichte, das so abenteuerlich und unvorhersehbar war wie eine Trabant-Rallye durchs Gelände: die Ersatzteilbeschaffung für Vorkriegsautomobile in der glorreichen Deutschen Demokratischen Republik. Eine Zeit, in der Schraubenschlüssel und Improvisationstalent wertvoller waren als Gold und Westmark zusammen.

Stellen wir uns vor: Opa Erhard, ein Mann mit Benzin im Blut und einer tiefen Zuneigung zu seinem Vorkriegs-DKW F7, Baujahr ’37, beschließt, seinen geliebten Oldtimer wieder flottzumachen. Ein ambitioniertes Unterfangen, denn wir befinden uns in den 70er Jahren der DDR. Die neuesten Errungenschaften des sozialistischen Automobilbaus, Trabant und Wartburg, kämpften selbst mit chronischem Ersatzteilmangel. Was also tun, wenn man ein defektes Teil für ein Auto sucht, das älter ist als die meisten Genossen im Politbüro?

Die erste Anlaufstelle war natürlich der örtliche „VEB Kfz-Instandsetzung“. Dort traf Opa Erhard meist auf junge Mechaniker, deren Fachwissen über Oldtimer sich auf das Bewundern verrosteter Kühlerfiguren beschränkte. „Vorkrieg?“, fragte Genosse Müller mit hochgezogenen Augenbrauen. „Das ist ja quasi archäologisch! Haben wir nicht im Plan vorgesehen.“ Ein hilfsbereiter Kollege flüsterte dann meist: „Versuch’s mal beim ‚Teile-Harry‘ hinterm Konsum.“

„Teile-Harry“ war eine Legende. Ein Mann, dessen Garage ein staubiges Paralleluniversum aus verbogenen Kotflügeln, ölverschmierten Anlassern und mysteriösen Kleinteilen war. Er hatte Beziehungen, von denen nicht mal die Stasi träumte. Gerüchten zufolge kannte er jeden Schrottplatz zwischen Rügen und dem Erzgebirge persönlich. Die Bezahlung erfolgte in Naturalien: mal ein Sack Kartoffeln, mal eine Flasche „Echter Nordhäuser“, manchmal auch einfach nur ein vielversprechender Tipp für ein seltenes Blinklichtglas in irgendeiner Scheune.

Die Suche nach dem benötigten Ersatzteil entwickelte sich oft zu einer Odyssee. Man hörte von einem Bauern in der Altmark, der angeblich noch eine Kiste mit alten Bosch-Zündkerzen hortete. Also machte man sich mit dem Moped und einem Kanister Reservebenzin auf den Weg, nur um festzustellen, dass der Bauer die Kerzen gegen ein Ferkel eingetauscht hatte. Das Ferkel wiederum sollte gegen einen Satz gut erhaltener Vorkriegsreifen getauscht werden, die sich angeblich im Besitz eines ehemaligen Zirkusdirektors in Sachsen befanden. Eine Schnitzeljagd der besonderen Art, bei der der eigentliche Schatz oft die skurrilen Begegnungen und die abenteuerlichen Geschichten waren.

Auch die Improvisationskunst blühte in diesen Zeiten. Fehlte eine Dichtung, schnitt man sie eben aus einer alten Gummimatte. War ein Blechteil durchgerostet, behalf man sich mit dem Boden einer ausgedienten Waschmaschine. „Was nicht passt, wird passend gemacht“ war das heimliche Motto vieler Oldtimer-Bastler. Kreativität war Trumpf, und so manches liebevoll restaurierte Vorkriegsauto der DDR war in Wahrheit ein rollendes Denkmal der findigen Selbsthilfe.

Die Oldtimer-Szene der DDR war eine eingeschworene Gemeinschaft. Man half sich aus, tauschte Teile und Erfahrungen auf geheimen Treffen fernab neugieriger Blicke. Diese Treffen glichen oft Basaren der automobilen Nostalgie, wo seltene Ersatzteile unter dem Tisch den Besitzer wechselten und manch einer stolz verkündete, endlich den passenden Vergaser für seinen Horch gefunden zu haben – nach nur fünf Jahren Suche.

So war die Ersatzteilbeschaffung für Vorkriegsautos in der DDR mehr als nur eine technische Herausforderung. Es war ein Abenteuer, eine Geduldsprobe und vor allem ein Beweis für die unerschütterliche Leidenschaft der Oldtimer-Liebhaber, die ihre historischen Schätze trotz aller Widrigkeiten am Leben erhielten. Und so mancher heutige perfekt restaurierte Vorkriegsklassiker aus den ehemaligen Osten trägt noch immer die Spuren dieser heldenhaften Ära der Improvisation und des unermüdlichen Suchens in sich.

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